Montag, 8. September 2008
Hallöchen.
Was tun wir Deutsche uns doch schwer, mit Worten an unsere Mitmenschen ran zu kommen! Denn es ist leider so: unsere Sprache lässt uns dabei im Stich. Statt dessen die merkwürdigsten Verrenkungen und Umwege. Wir starten zum Beispiel, wenn wir einen Fremden nach Uhrzeit oder Weg fragen wollen, mit einem so gar nicht gemeinten „Tschuldigung, können Sie mir vielleicht sagen …“. Oder im Lokal, wenn es darum geht, die vielleicht nicht mehr ganz junge Kellnerin für sich zu gewinnen, will uns das „Frollein“ natürlich auch nicht über die Lippen. Wir fuchteln lieber mit den Armen, grimassieren, suchen verbissen Augenkontakt. Am Telefon reicht es bestenfalls zu einem knappen „Ja“ als erstem Lebenszeichen, bei E-Mails ist der Massenstandard ein diffuses „Hallo“ bei der Anrede, das sich auf Parties auch zum „Hallöchen“ steigern kann.
Glückliches Frankreich! Da hört man immer noch häufig das respektvolle „Bonjour Madame“, das eben mehr ist als ein gerade mal prüfendes „Ja“ der Verkäuferin hinter der Theke. Die alten Lateiner hatten sogar einen eigenen Fall fürs Anreden und Ausrufen, den Vokativ, lang, lang ist’s her.
Entwicklungsgeschichtlich ist das Grüßen ritualisiertes Sicherheitsverhalten. Man lächelte sich zu, zog den Hut, dienerte, grüßte mit der Hand - oder was auch immer - und sagte so seinem unbekannten Gegenüber, dass man in friedlicher Absicht unterwegs sei. Es machte Sinn.
Und heute? Wenn sich junge Leute begrüßen, dann schlagen sie ihre Hand gegen die Handfläche des anderen. Dabei freilich schauen sie beharrlich weg. Und erst dann kommt vielleicht ein „Aasklar?“
Tja, isses wohl. Miteinander geredet wird hierzulande gewiss nicht wenig, zumal per Handy. Und wer weiß, vielleicht sind gerade die Dauergespräche allerorten ein selbst gewählter Schutz gegen die misslichen Sprachholpereien beim Start.
Bleiben wir also dran.
Sonntag, 10. August 2008
Stehaufler.
Die Mechanik des Aufstehens bei den gleichnamigen „Stehauf-Männchen“ ist einleuchtend simpel: der Körper muss nach unten gerundet sein und der Schwerpunkt tief genug. Dann bleibt dieser Halbkugel mit Figürchen obendrauf gar nichts anderes übrig, als sich unverdrossen aufzurichten, wann immer sie in Schieflage kam. Die beigefügte Abbildung stammt aus WIKIPEDIA und zeigt eine Spielzeugfigur aus dem 19. Jahrhundert.
Bei lebenden Menschen sehen wir das eher zwiespältig, pendelnd zwischen Bewunderung und Ärger. Den freilich könnten wir durchaus auch gegen uns selbst lenken. Denn bei lebenden Stehauf-Frauchen oder –Männchen sind es vor allem wir selbst, die den Schwerpunkt unserer Vorturner bestimmen und auch ihre Wipp-Rundungen beim beharrlichen Hochkommen. Oder heißt es nicht besser sogar „VIP“?
Wir wollen es so und wir tun es über die nur von uns bestimmte Lese- oder Einschaltquote. Weil es nun mal herrlich unterhaltsam ist, einem Oscar, Gregor, Wolfgang oder einer Eva auf der Stehauf-Spur zu folgen, egal, wie die gerade mal abgestürzt sind, und das sogar mit gutem Grund. Es gehört zu unserem Spiel. Gar nicht erst ignorieren, sagten früher die Berliner, wenn sie die Höchststrafe verhängen wollten gegenüber Stehauflern beiderlei Geschlechtes. Und wehe für die Betroffenen, sie hielten sich dran.
Das ist lange her.
Freitag, 1. August 2008
Höhenrausch für alle?
„Höhenrausch“ ist der Titel eines sehr lesenswerten Buches von Jürgen Leinemann, der als Spiegel-Redakteur der Oberklasse ein Berufsleben lang aus der ersten Zuschauerreihe die politischen Proms sezierte. Höhenrausch meint die selbstzerstörerische Wirkung einer Droge, der nahezu alle verfallen, die ihre eigene Bedeutung dürstend aus dem Medienecho errechnen und ihr Verhalten diesem täglichen Rating ausliefern.
Genau das ist auch das Problem von Wolfgang Clement, der seine Höhen-Ämter lange schon hinter sich hat und also zu den Mikrofonen drängt, triebhaft und gut platziert, wie viele. Indess: Das politische Personal auf prominenter Bühne, noch heute würde es sich zu kläglichen Resten verlaufen, wenn alle zu gehen hätten, die an der Höhenrausch-Nadel hängen.
So gesehen ist der Rausschmiss von Wolfgang Clement aus seiner (= übrigens auch meiner) Partei ein riskanter Schritt im laufenden Politmarketing, wo mag das enden? Und ganz gerecht ist er auch nicht, weil viel zu viele drogenabhängig sind und gehen müssten. Also Höhenrausch für alle ... .
Die Zukunft hat hier längst begonnen. In unserer Mediokratie ist Schweigen Silber - und Reden jetzt Gold. „Nichts für ungut“, flüsterte der Wolfgang in seinem Innersten vielleicht seinen hessischen Genossen solidarisch zu, als er damals öffentlich ihren Wählern empfahl, sie lieber nicht zu wählen. “Nehmt es nicht persönlich, es geht nicht um Euch!“ mag er beteuert haben. „Ihr müsst das verstehen, es geht um mich. Und Ihr wisst warum.“
Also, Ring frei zur nächsten Runde - ein bisschen Trauer gehört auch dazu.
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Samstag, 12. Januar 2008
Stadtleben, Kampfleben?
Köln, Bus-Bahnhof Rodenkirchen, früher Abend: Das gewohnte Gruppen-Warten für alle, die in den 131-er Bus einsteigen werden. Er war schon vorgefahren. Seine Mittenplattform lichtete sich zügig. Die Fahrgäste draußen hatten eine Gasse gebildet, die sich schloss, als keiner mehr von der Plattform runter wollte. Ein älterer Mann im Loden schob sich hoch, wurde aber dabei zurückgestoßen von einem Nachzügler, der aus dem diffusen Hintergrund plötzlich nach vorn geschossen kam. Es war ein kräftiger Mann, Mitte dreißig vielleicht, modisch-martialisch ausstaffiert mit schweren Stiefeln, Military-Tarnfarbenanzug und harter Schirmmütze. Er rammte den Loden-Mann herrisch mit einem vollen Bierkasten, den er dabei hatte.
Natürlich beschwerte sich der Loden-Mann, bekam aber nur lautes Dreckigkölsch zurück und einen Schlag in die Seite, der ihn in den Bus taumeln ließ. An einer Haltstange hielt er sich ein und rechnete mit der nächsten Attacke. Andere Fahrgäste schauten irritiert zu.
Bis auf einen.
Der war ganz plötzlich aus der Tiefe des Busses vorgesprungen und hatte sich mit seinen mächtigen Schultern vor dem Kasten-Mann aufgebaut, ein junger Sportlertyp mit weißer Kapuze. „Lass das“, sagte er dem Kasten-Mann, „dass machst Du nie, nie wieder!“ Blitzschnell hatte er sich dazu auch noch eine Flasche aus dem Träger gefischt und hielt sie ihm drohend wie eine Keule vor’s Gesicht. Der Kasten-Mann zögerte, kalkulierte seine Chancen und schwieg. Die Bustüren schlossen sich.
„Es gibt immer einen Stärkeren“, dachte sich der Loden-Mann zwiespältig, „Stadtleben ist Kampfleben.“ Schon bei der nächsten Haltestelle schwang sich der Sportler mit der Hühnengestalt aus dem Bus und verschwand im Dunkeln. Den Dankeblick seines deutlich älteren Schützlings nahm er mit einem kleinen Lächeln an.
Natürlich beschwerte sich der Loden-Mann, bekam aber nur lautes Dreckigkölsch zurück und einen Schlag in die Seite, der ihn in den Bus taumeln ließ. An einer Haltstange hielt er sich ein und rechnete mit der nächsten Attacke. Andere Fahrgäste schauten irritiert zu.
Bis auf einen.
Der war ganz plötzlich aus der Tiefe des Busses vorgesprungen und hatte sich mit seinen mächtigen Schultern vor dem Kasten-Mann aufgebaut, ein junger Sportlertyp mit weißer Kapuze. „Lass das“, sagte er dem Kasten-Mann, „dass machst Du nie, nie wieder!“ Blitzschnell hatte er sich dazu auch noch eine Flasche aus dem Träger gefischt und hielt sie ihm drohend wie eine Keule vor’s Gesicht. Der Kasten-Mann zögerte, kalkulierte seine Chancen und schwieg. Die Bustüren schlossen sich.
„Es gibt immer einen Stärkeren“, dachte sich der Loden-Mann zwiespältig, „Stadtleben ist Kampfleben.“ Schon bei der nächsten Haltestelle schwang sich der Sportler mit der Hühnengestalt aus dem Bus und verschwand im Dunkeln. Den Dankeblick seines deutlich älteren Schützlings nahm er mit einem kleinen Lächeln an.
Freitag, 14. Dezember 2007
Der Krieg ist vorbei.
Im Keller eines Nebenhauses installiert T. geduldig eine Erdgasheizung vom Feinsten. Er kann das, muss keine Bauanleitungen mehr zu Rate ziehen - auch bei modernster Technik nicht. Rohr um Rohr, streng parallel geführt und akkurat abgewinkelt zum eindrucksvollen Gesamtbild, vernetzt das System. Befestigt werden diese Rohre mit Montageschellen auf Schraubspindeln, die zuvor verdübelt werden in Wand und Decke.
Eine etwas betagte Schlagbohrmaschine hilft dabei. Der überlange Bohrer stürzt aber geradezu in die Wand. Denn es sind erst mal rund zehn Zentimeter Rigips und Isoliermatten zu durchstechen, erst danach trifft der Bohrer auf Stein oder Beton, erst jetzt lässt sich also ein Dübel setzen, Übung macht den Meister.
Ohne solche Tricks geht in diesem Hause gar nichts, Rigips allerorten, wer da was aufhängen will, bekommt rasch Probleme und verliert sich in Träumen an die gute alte Zeit, als Wände noch normal hochgemauert und verputzt waren.
„Wissen Sie“, sagt T. achselzuckend, „ich wohne in einer Ausbauwohnung unterm Dach. Und wenn ich Anlauf nehmen würde bei mir im Wohnzimmer, wär’ ich sofort bei meinem Nachbarn auf der Coach. Alles Trockenbau, Sie verstehen! Man gewöhnt sich dran.“
Und L., der furiose Fliesenleger, der nun schon ein halbes Leben Kästen aus Styrodur baut, um sie anschließend bravourös zu fliesen (wenn’s der Kunde will auch in rokkoko-antik), L. sagt zu diesen Schnelltechniken des Ausbaus nur: „Der Krieg ist eben vorbei!“
Schön ist es geworden, das alte Haus mit seiner totalen Rigipsbestückung: Eichenparkett, indirekt angestrahlte Sandsteinwand, Kaminofen, dezent eingelassene Deckenspots. Nehmen wir Platz auf der nagelneuen, weißen Ledercoach und strecken die Beine.
Wir müssen dabei ja nicht unbedingt an Wände klopfen, wie weiland Joachim Ringelnatz, als er vermutlich leicht betrunken dichtete
„Und gab dem Reh einen ganz kleinen Stips. Und da war es aus Gips.“ (Im Park)
Sonntag, 22. Juli 2007
Wolfshunger.
Wir Deutsche geben uns gern polyglott, zumal im Restaurant. Wenn wir dort einen Branzino ordern und der Kellner ermuntert uns dazu noch mit seinem wunderbaren „perfetto“, dann haben wir wieder mal alle schnürenden Sprachgrenzen weit hinter uns gelassen. Wissen wir doch, dass ein Branzino ein Loup de Mer ist, vorzüglich allemal, aber leider etwas teuer. Unser tief versunkenes Schulfranzösisch wispert uns derweil zu, dass wir demnach einen Seewolf verspeisen.... Aber es ist eben viel mehr, Branzino oder Loup de Mer klingt ungleich appetitlicher.
Ein Seewolf freilich ist ein ganz anderer Fisch, auch nicht schlecht und allein deshalb preiswerter, weil er nicht wie der Branzino (Dicentrarchus labrax) nur an der Angel gefangen werden kann, sondern als gewichtiger Beifang im Netz, zum Beispiel auf Heringstörn. Unter dem Namen Kattfisch (Anarrhichas lupus) ist er uns schon vertrauter, auf Speisekarten heißt er allerdings meistens Steinbeisser. Aber es ist ein Seewolf. Sein kräftiges Gebiss mit eher etwas stumpfen Zähnen ist in der Lage, Muscheln zu knacken, Steingut sozusagen, was ihm den drastischen Ehrentitel auch eingebracht hat. Denn es ist kein zoologisch exakter Name. Der echte Steinbeisser ist ein ganz anderer Fisch (Cobitis taenia), steht nirgendwo auf menschlichen Speisekarten und lebt insoweit vermutlich recht sicher.
Zurück zu den Wölfen im Meer. Der Branzino ist ein „Wolfsbarsch“, der Kattfisch ein „Seewolf“ und ein anderer Lieblingsfisch guter Gastronomie sieht zwar gefährlich aus, heißt aber fast immer sehr sanft „Lotte“. Gemeint ist hier der „Seeteufel“ (Lophius piscatorius), der beim Händler eigentlich nur als Schwanzstück landet. Den gruseligen Kopf hat man dort längst entfernt.
Dreimal See-plus-Fisch und zweimal mit Wolf dabei. Zählen Sie ruhig nach. Denn den Branzino nennt man auch Seebarsch bei uns.
In diesem Sinne: Bon appetito!
Montag, 16. Juli 2007
Hallo.
Was haben wir nur für ein Kreuz mit der Anrede unsere Mitmenschen, wenn wir sie nicht kennen! Und wir kennen bekanntlich die meisten nicht! Folglich können wir keine Namen rufen, um den Start zu eben. Und auch dann gäbe es Schwierigkeiten, denn wir müssten vorher genau wissen, ob es der Vorname sein darf oder eine eher förmliche Anrede.
Es gibt ungezählte, alltägliche Situationen, in denen dieses leidige Problem auftaucht. Im Lokal etwa: wie reden wir die meist schlecht bezahlte Kraft an, die uns bedient. Ist es eine Frau, gar im fortgeschrittenen Alter, brüllen wir „Fräulein“, bei Männern sagen wir „Herr Ober“, Frau Oberin geht aus ganz anderen Gründen leider nicht.
Und so führen wir uns in irgendwelchen Grimassierungen auf, winken heftig und sagen dann verlegen ein gedehntes „Aäh“ zum Start, ein grundloses „Entschuldigung“ oder „darf ich mal kurz stören“.
Nichts ist eigentlich lächerlicher. Aber unsere Sprache sieht nun mal keine allgemein gültigen Anredeformen vor. Die alten Lateiner hatten wenigstens noch ihren Vokativ, und die Franzosen ihr Madame oder Monsieur.
In diese Lücke hat sich im Deutschen heutzutage ein Allzweck-Hallo eingenistet. Zieht also jemand an dir vorbei, schlurfend, in Gedanken ganz anderswo und schaut unbeabsichtigt rüber, sagt er mechanisch ein tonloses „Hallo“. Am Telefon ist das ohnedies die feste Eröffnungsformel, ab und zu noch verdrängt durch ein muffiges „Ja bitte“ oder barsches „Ja“.
Kurzum, wir haben da ein echtes Miteinander-Problem. Sprache soll ja bekanntlich Kommunikation herstellen. Im Schwierigsten, in der Anrede sind wir aber immer noch in der Steinzeit. Und so gerät Kommunikation oft zum Monolog, zum Selbstgespräch. Weil uns das Türöffnen zum andern schon sprachlich so ungeheuer schwer fällt.
Wen wundert’s: Während diese Zeilen entstehen, zieht draußen vor der Tür wirklich ein Mensch vorbei, laut palavernd. Er hat mit verrenkter Haltung ein Handy an sein Schief-Ohr geklemmt und spricht sehr laut mit irgend jemand. Er scheint glücklich.
Denn sein Eröffnungs-Hallo hat geklappt. Und wie! Fast könnte man sagen "aber hallo"!
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