Donnerstag, 28. Dezember 2006


Steinbruch.

Stifter sind ehrenwerte Leute. Wenn sie im Mittelalter etwa eine komplette Kirche gestiftet hatten, erinnert ein Denkmal an sie – gewiss zu Recht. Wir betrachten es mit Ehrfurcht und mit Gewinn – stets offen für alle gelehrten Deutungen. Zwar mag es damals handfeste Gründe gegeben haben, für das Heil in der Ewigkeit ein wenig vorzusorgen. Denn man hatte sehr drastische Vorstellungen davon, was armen Sündern in Fegefeuer und Hölle blühte, wenn sie nicht beizeiten noch reuig stifteten. Die Kirche kam so zu mancher Zuwendung, die Menschheit freute sich, die Kunstgeschichte notierte es dankbar und liefert im Gegenzug bis heute ungezählte Dissertationen.

Im berühmten Dom zu Naumburg an der Saale sind Skulpturen zu bewundern, die an frühe Stifter erinnern. Diese Stifter allerdings waren lange schon verstorben, ehe ein unbekannter Bildhauer sich zu ihrer Ehre ans Werk machte. Ähnlichkeiten mit den Jahrzehnte vorher lebenden Personen sind deshalb auszuschließen, es gab noch keine fotografischen Vorlagen. Und so entstand auch die Skulptur der „Uta von Naumburg“ (Uta von Ballenstedt, 1000?-1046). Dem Bildhauer war es gelungen, dieser Dame etwas in die Gesichtszüge zu legen, was Jahrhunderte später zur Ikone geriet, jetzt übrigens wegen schön inszenierter Fotos aus dem 19.Jahrhundert. Man entdeckte schließlich nach 1933 bei dieser kinderlosen Gräfin des Mittelalters alle Tugenden der guten Deutschen, des keuschen Mädchens und der Mutter des Volkes, und verschaffte ihr in der hauseigenen Propaganda einen Spitzenplatz.


Allerdings gab die gleiche Skulptur auch Deutungsgelegenheit für andere, als quasi "sozialistische Volksgenossin". So wird denn auch fertig behauener Stein wieder zum Steinbruch für den Zeitgeist. Dessen eigenes Schicksal holt ihn sozusagen ein, damals vor 800 Jahren, als Bildhauer anderen Weltsichten verpflichtet waren und ein Stifterdenkmal zu schaffen hatten, das mit den historischen Personen nur wenig zu tun haben sollte. Es konnte sogar nicht einmal in der von ihnen gestifteten Kirche aufgestellt werden. Denn diese Kirche gab es schon gar nicht mehr, war sie doch nur ein Vorläufer des Naumburger Domes, für den erst diese Skulptur in Auftrag gegeben worden war.

Wir lernen daraus, dass die Menschen so waren, wie sie heute sind: Sie bauen sich nach Tagesbedarf ihr Weltbild, nicht immer ganz freiwillig und wenn nötig auch aus Stein. Die mittelalterliche Markgräfin Uta von Ballenstedt hat es dabei in Naumburg erwischt, als alle Welt ein Foto einer Steinmetzarbeit bestaunte.

Sie konnte sich nicht wehren und sie möge in Frieden ruhen.
Bis zum nächsten Mal.

Samstag, 23. Dezember 2006

Digitalfutter.

Es ist ein sehr erfolgreiches Rezept: wer Menschen wirklich beherrschen, wer sie unterwerfen will, der muss ihnen zuerst die Persönlichkeit nehmen. Besonders bewährt hat sich dabei, diesen Menschen den Namen zu verstümmlen oder ganz zu streichen. Menschen werden danach zu austauschbaren Nummern, die sich im Machtsystem beliebig zuweisen und verarbeiten lassen. Diktaturen in der ganzen Welt tun das bis heute. Und so können wir uns freuen, dass in unserer Verfassung immerhin schon seit 1919 (Artikel 109 der Weimarer Verfassung) zu lesen ist, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. In Deutschland hat das zwar länger gedauert als anderswo, es musste erst noch ein ganzer Weltkrieg Verwüstung bringen, aber dann war es endlich soweit (von einem Zwölfjahresrückfall in braunen Terror einmal abgesehen).

Seitdem freilich hat uns dieses einzigartige Grundrecht, materiell als unser „unveränderbares Recht am eigenen Namen“, etwas schläfrig gemacht, und wir haben seinen prinzipiellen Rang aus den Augen verloren. Denn Gefahr droht lange schon aus einer ganz anderen, sich harmlos gebenden Ecke. Es sind die fern auf der Welt arbeitenden Programmierer und Systementwickler, die uns offenbar ohne schlechtes Gewissen zu Digitalfutter vermahlen wollen.

Erinnern wir uns: anfänglich waren die elektronischen Datenverarbeiter nicht in der Lage, Personennamen zu verdauen, die sich mit Umlaut schrieben oder aus mehreren Worten zusammengesetzt waren bei unterschiedlicher Groß- und Kleinschreibung. Also verstümmelten oder verfälschten sie, wie es gerade passte. Mehr als ein freundliches Achselzucken hatten die Verantwortlichen dabei nicht übrig für uns. Es seien Sachzwänge, sagten sie, und wir nahmen das hin.

Inzwischen sind die Dinge zwar weiter gekommen, Umlaute sind endlich zugelassen und bei intelligenter, loyaler Programmierung kann es sogar gelingen, dass aus einer korrekt gespeicherten Adresse auch eine korrekte Anrede im Serienbrief generiert wird - oder zumindest werden könnte. Denn nach wie vor erhalten wir massenhaft Steuerbescheide, Arztabrechnungen, Versicherungspolicen oder Spendenbettelbriefe mit ärgerlichster Verstümmelung unseres Namens. Unsere Schuld: Unser Familiennamen passt nicht ins Herrschaftsschema veralteter Software, und vor allem: wir ducken uns.

Genau das aber weicht die guten Sitten auf, macht lautlos Schule und legitimiert Folgeschlampereien zu (schlechten) Gewohnheiten. Sogar in der FAZ vom 22.12.2006 lesen wir: „Leyen: Geburt nicht künstlich verzögern“. Die hier gemeinte Person heißt mit Familiennamen „von der Leyen“, was aber schert das schon die Texter. Denen geht – aus Sachzwängen natürlich – „Kurz vor Richtig“. Erst also, wenn man simpel Köhler heißt, taucht das in einer FAZ- Schlagzeile (vom gleichen Tag) unbeschädigt auf.

Kurzum, wehren wir uns! Wir sind längst über die Anfangsmarke hinaus. Es lohnt sich. Denn erst der ganze Name macht uns zur Person. Das wussten die Verfassungsväter sehr gut, und das sind wir uns und allen anderen wirklich schuldig.

Mittwoch, 20. Dezember 2006


Zuwachs.

Weimar wächst - andere Städte in Thüringen tun das nicht. Aber es liegt nicht daran, dass die Jungen hier nicht abwandern würden wie anderswo, sondern weil die Alten kommen. Die haben das schöne, das überschaubare, traditionsreiche Weimar ins Herz geschlossen. Ungewöhnlich erfolgreich ist deshalb das Angebot an Seniorenstiften und Heimen in der Stadt. Das kleine Weimar bietet derweil ein großes und vielseitiges Freizeitprogramm mit seinen Museen, Theatern, seinen Parks und nicht zuletzt mit seinen großen Namen, die Weimar geprägt haben. Es war und ist also viel los in Weimar und mit ein wenig Geschick lässt sich der jüngeren Plattenbauvergangenheit dieser Stadt ausweichen.

Etwas außerhalb von Weimar gibt es eine Gedenkstätte, zu der ein Bus hinführt. Es gibt diesen Ort seit 1937, als das stramm nationalsozialistische Weimar hier ein KZ errichtete mit dem späteren Kunstnamen "Buchenwald". Eigentlich ist es der Ettersberg, den schon Goethe gerne besuchte und dort zu Füßen einer Eiche seinen Gedanken nachhing. Das „Lager Ettersberg“ wurde deshalb schnell auf Protest der Weimarer Bevölkerung in Buchenwald umgetauft. Buchen gibt es dort allerdings wenige.

Das Eingangstor zu diesem riesigen Lagerkomplex ist noch im Original erhalten und begrüßt seine Besucher dräuend mit „Jedem das Seine“. Gleich links dann die Folterzellen und rechts hinten auf dem heutigen Freigelände das Krematorium mit der Genickschussanlage der SS. Getarnt in einem Arztzimmer kamen die tödlichen Schüsse bei Bedarf durch einen Schieber-Schlitz - zur ärztlichen Bestimmung der Körpergröße. Jedem das Seine.

Direkt am 380-Volt-Zaun der Anlage, aber auf der Freiheitsseite, noch die Reste eines kleinen Bärengeheges für die Kinder der Aufseherfamilien. Die werden ihren Spaß gehabt haben. Einen eigenen Bahnanschluss bekam dieses KZ allerdings erst relativ spät. Der Weimarer Bahnhof selbst war indessen gut geeignet - und niemand natürlich hatte in den Jahren was bemerkt von dem Zusammentreiben Tausender auf dem Bahnsteig Richtung Buchenwald.

Das alles wird heute in der Gedenkstätte würdig erinnert. Und deshalb kann man sich vielleicht entlastet den wahren Schönheiten der alten Stadt zuwenden, etwa dem Bauhaus-Museum, das auch in Erinnerung hält, wie die Bauhaus-Kunstbewegung in Weimar schon Mitte der Zwanziger Jahre wegen „Entartung“ aus dem Ort vertrieben wurde – immerhin acht Jahre vor der Machtergreifung. Ausgeschildert ist der Weg zum „Hotel Elefant“, dem vormaligen „Haus-Elefant“, in dem sich Hitler von seinen Weimarern frenetisch bejubeln ließ.

Es ist, sagt die Fremdenführerin leise, in Weimar die ganze deutsche Geschichte wie in einer Nussschale zu fassen, hier Goethe, da Buchenwald. Die neuen Alten von Weimar haben sich damit wohl längst arrangiert. „Jedem das Seine“, denken sie vielleicht und blättern verzückt im Kulturprogramm der Stadt.

Mittwoch, 29. November 2006

Schuss.


Nicht jeder Schuss sitzt, das kann lebensrettende Vorteile haben. Und wenn beim Scheibenschießen mal ein Schuss daneben geht, dann rufen wir höhnisch „Fahrkarte!“. Ein schönes Sprachbild, trotzdem, denn die Kugel hat sich mit unbekanntem Ziel auf Reisen gemacht.

Aber was ist mit dem „Schuss in den Ofen“, von dem gelegentlich und voller Bitterkeit die Rede ist. Ein kräftiges Sprachbild allemal, denn wer schießt sinnvollerweise schon in einen Ofen? Tut er es doch, dann war er völlig nutzlos. Der Ofen wäre ruiniert und sein Feuer zerstoben. Alles klar?

Unsere Sprachbilder führen uns freilich oft in die Irre. So wenig wie der berühmte Amtsschimmel wiehert, so wenig auch schießen wir in einen wärmenden Ofen. Gemeint war ursprünglich etwas anderes. Der Amtsschimmel hat nichts mit Pferd zu tun, sondern kommt aus dem lateinischen „similis“ (ähnlich), also der Vorlage, dem Formular. Das weiße Pferd war derweil noch lange nicht in Sicht und folglich auch nicht seine frohe Lebensäußerung. Die haben wir später sprachlich hingebogen.

Genau so die Sache mit dem Schuss. Denn nicht nur Schützen schießen, sondern auch die Bäcker tun das. Sie schießen nämlich ihr Brot e i n in den längst heißen Backofen. Das tun sie meistens sehr früh am Morgen und danach riecht es in der ganzen Backstube höchst verführerisch.

Nichts davon würde passieren, wenn sie das Brot in den kalten Ofen einschössen. Das wäre erkennbar sinnlos. Im Laufe der Jahre allerdings verschwand der erklärende Hinweis auf des Ofens Kälte. Geblieben ist ein Sprachbild, das wir trotzdem wunderbar verstehen, wenn auch falsch.

Dennoch: Es bleibt ein Treffer.

Sonntag, 26. November 2006

Große Gefühle.


Es ist Mode geworden, die Markteinführung neuer Filme, neuer Romane, neuer Musicals oder was auch immer durch die Ankündigung aufzuladen, dass den geneigten Konsumenten dieser Dinge ganz "große Gefühle" erwarten. Ohne große Gefühle geht es heute nicht mehr, das ist sicher.

Die wiederum schlummern in Bildern, Tönen und Worten, die ihre Autoren dafür finden. Sie haben damit Herrschaft über erstaunlich kleine Aufnahmeflächen in uns für eben diese großen Gefühle: den mikroklein eingerichteten Gehörsinn zum Beispiel oder die nur wenige Quadratzentimeter messende Netzhaut in unseren Augen. Sollten beim Genuss von Wein oder italienischer Pasta ebenfalls große Gefühle aufkommen, dann hätten auch die nur sehr kleine körperliche Sensorflächen berührt. Kurzum, unsere Fühl-Flächen für die Gefühle fallen wenig eindrucksvoll aus. Selbst wenn es Hochleistungschips wären, der Verdacht liegt nahe, dass wir, von unseren Chips leicht manipuliert, diese großen Gefühle eher selbst produzieren. Oder auch nicht.

Zugegeben, die Damen und Herren Autoren, Regisseure, Köche und Werbetexter kennen ihr Handwerk, wissen, wie man mit Erfolg Gefühle herbei kitzeln kann, und machen uns solchermaßen zu braven Gefolgsleuten, die bereit sind, erstaunliche Eintrittspreise zu zahlen, Schlange zu stehen und am späten Abend bei der Parkplatzsuche im eigenen Viertel statt großer Gefühle lebhafte Wut zu empfinden. Aber ab und zu brauchen wir das, laden unsere Akkus auf und sinken danach möglicherweise in wohligen Schlaf.

Denn nicht die Welt ist's, sondern es ist die „gefühlte“ Welt, wie man modernerweise längst sagt, die uns aufs Gemüt schlägt, so oder so. Was wäre schon Kälte, wenn keine gefühlte, was Lärm oder Hitze ohne das entsprechende Gefühls-Zertifikat.

Und so haben wir ganz beiläufig auch eine neue Rechtfertigung für unser Tun bekommen: Denn erst beim Gefühlten sind wir wirklich mit dabei, verstehen und folgen willig.

Die, die uns genau dahin steuern wollten, werden sich freuen.

Mittwoch, 22. November 2006

Torte.

Der Lateinlehrer in der alten Stadt am Strom wurde es nicht aus Begabung - oder gar aus Erfahrung: Er wurde Oberbürgermeister (OB), weil ihn die Mächtigen seiner Partei auswählten als den Schwächsten in den eigenen Reihen - wie weiland die Fürsten bei der Kaiserwahl. Und deshalb war der Lateinlehrer auch hilflos, vom ersten Tage an.

Solche Menschen umzingelt aber schnell eine Entourage von fixen Burschen, die ihre Chancen nutzen und ihren Schützling „aufbauen“. So entstand ein 16-Punkteprogramm des frisch gebackenen OB, für das er sich folgsam selbst eine Torte backen lassen musste. Seine Büchsenspanner wollten es so.

Diese Torte sollte den Medien aufgetischt werden und dekorativ machen, was der gute Mann so alles vorhatte. Das ist jetzt einige Zeit her und hat die damaligen Medien durchaus beschäftigt. Das Stadt-Presseamt hat derweil gehorsam die Rechnung für die Torte bezahlt. Denn der Konditor hatte sich wirklich alle Mühe gegeben, die Torte zierte ein sogenannter „Staren-Kasten“ aus Zuckerguss und Marzipan.

Damit sollte den geplagten Kraftfahrern dieser Stadt versprochen sein, dass die Kameraüberwachung für Raser nicht mehr stattfinden würde. Die Staren-Kästen wurden weitgehend stillgelegt und eingehüllt in graues Tuch. Dies zwar gegen die ausdrückliche Empfehlung der Fachverwaltung, aber Chef ist nun mal Chef. Jahrelang standen danach einige Staren-Kästen in vielsagender Verpackung an den Straßen, an denen sie früher für kalkulierte Vorsicht gesorgt hatten.

Inzwischen sind aber dort (und anderswo) die Unfallzahlen derart explodiert durch ungebrochene Raserei, dass der Latein kundige Oberbürgermeister seine alten Populär-Träume abrupt beendete. Reden wir dabei mal nicht über neue Einnahmen für die arme Stadt am Strom. Die Überwachungsaugen werden wieder aufgestellt beziehungsweise aktiviert und es sollen sogar einige dazukommen - „audentes fortuna iuvat“ (den Wagemutigen hilft das Glück).

Hat da jemand gelacht? Der Lateinlehrer ist noch für Jahre gewählt und man spürt: Er fühlt sich wohl in seinem Körper.

Montag, 20. November 2006

Wirklich.


In der Physik lernt man, dass ein virtuelles Bild im Gegensatz zum realen ein Bild ist, dass sich nicht auf einem Schirm abbilden lässt. Als das noch ungefähr verstanden wurde in den Schulklassen, gab es den Bildschirm heutiger Art noch nicht, sondern nur die halb durchsichtige Matt-Scheibe, durch die sich die Strahlen einer Bildprojektion leiten ließ. Hier bildete sich dann etwas ab – unser reales Bild nämlich, kurzum, es war eindeutig nicht virtuell. Ein Spiegelbild dagegen tut das nicht, es ist sichtbar und doch nur vorgegaukelt irgendwo hinter der Spiegelebene, keine Schirm könnte sich hier dazwischenklemmen und etwas auffangen. Das Bild ist also virtuell und entsteht nur in unseren Köpfen.

Die Zeiten haben sich seitdem geändert. Denn inzwischen ist gerade das Virtuelle unsere neue Info-Realität. Es ist die veröffentlichte Wirklichkeit hinter der Bildschirmebene, bestens inszeniert, so dass wir ihr gläubig folgen und sie als Realität für wahr und echt halten. Schlimmer noch, was dort nicht vorkommt, gibt es im Grunde gar nicht, wäre gar nicht existent. Nichts muss uns also mehr drängen, als in diesem Virtuellen vorzukommen durch mediale Präsenz.

Andererseits könnte es gerade diese allgegenwärtige Medial-Realität sein, die uns inzwischen dazu gebracht hat, ein paar Abfangjäger zu entwickeln, wenigstens sprachlich, um die Dinge dem allzu Deutlichen zu entziehen. So sprechen wir z.B. nicht nur von Kälte, die sich bekanntlich messen lässt, sondern von „gefühlter Kälte“. Das macht Eindruck und niemand könnte uns das letztlich bestreiten. Gefühlte Kälte ist unangreifbar, weil etwas ganz anderes als ein Skalenwert auf unserem Thermometer. Oder wir entwinden uns sanft den Fragen, die eigentlich nur ein einfaches Ja oder Nein als Antwort haben möchten. Wir tun das mit dem ahnungsvollen Zusatz „nicht wirklich“. Auf die Frage also „War’s gestern schön?“ kommt unser vieldeutiges „Ja - aber nicht wirklich“.

Und so schlagen wir ganz intuitiv der neuen Info-Realität auf dieser Welt ein Schnippchen, einfühlsam und mit viel Sowohl-als auch.

Samstag, 18. November 2006

Log.


Unsere frühen Vorfahren hatten mit einiger Mühe zwar so etwas wie Sprache entwickelt, Schriftzeichen dafür folgten erst sehr viel später. Immerhin, wo sich Sprache sozusagen audiografisch codiert hatte, da war der nächste Schritt, nämlich die Codierung in sichtbaren Zeichen für das Sprechbare, eigentlich nicht mehr weit.

Inzwischen freilich lassen sich interessante Umkehrungen dieses Abbildungsprinzips von Sprache beobachten. Denn sprechfaul, wie wir sind, drängt es uns zu Abkürzungen. Wenn die dann flutschen, wird daraus sofort ein Wort. „Blog“ zum Beispiel, als Tagebuch fürs Internet. Das „B“ vor „log“ steht für „web“, und man kann sich aussuchen, ob damit das „b“ in web oder das „w“ gemeint ist, wenn auch in spanischer Aussprache… Das „log“ soll wohl an Tagebuch erinnern, auf See nennt man das bekanntlich Logbuch. Aus Blog ist dann schnell auch die Blogger-Gemeinde geworden. Lang wird es nicht dauern, und irgendein epigonaler Werbefuzzi textet: „Lebst Du noch oder bloggst Du schon.“

Ein reiner Design-Begriff war übrigens auch der „iPod“, ein Name als Kunstwort für einen ziemlich teuren, aber auch sehr erfolgreichen Abspieler für Musik und anderes. Längst ist daraus „Podcast“ geworden, was selbstgebastelten Rundfunk meint, eine vom Oxford-English jetzt akzeptierte Wortneuschöpfung, die sich – wen wundert’s - auch in einen Blog einbauen lässt.

Um sowas aber in voller Breite genießen zu können am PC, brauchen wir DSL – sprich eine Breitbandverbindung übers Telefon hin zu unserem persönlichen Rechner (PC), am besten als Flatrate ausgestattet.. DSL meint Digital Subscriber Line, oder auf Deutsch: „Digitale Teilnehmer-Verbindung“ .

Zugegeben, DSL fluscht als Abkürzung einfach besser und beschäftigt uns auch nicht mit der Frage, warum man im Englischen erst Teilnehmer wird, wenn man irgendwo unterschrieben hat.

Donnerstag, 16. November 2006

Hias.

Wer etwas Bayerisch kann, wird wissen, was Hias bedeutet. Es ist die Kurzform für Mathias, sowas gibt es überall. In Köln etwa nennt man den Jakob lieber Köbes - und meint damit vor allem den Wirtshauskellner. Der Hias, um den es hier geht, war Schreiner im Achental, im oberbayerischen Chiemgau, ein bißchen langsamer als die anderen, ein bißchen zorniger auch, wenn die Dinge nicht so liefen, wie er das wünschte, ein wenig ein Sonderling halt. Aber als Schreiner war er der beste. Beim Hias, meinte damals sein Meister, zahle eigentlich jeder Betrieb drauf. Aber solche wie ihn müsse es auch geben: pingelig, bockige Selbermacher und kompromißlos, wenn es ums Handwerkliche ging.

Der Hias kam aus kleinbäuerlichen Verhältnissen, hatte vor vierzig Jahren Schreiner gelernt, weil das sein Vater so wollte, und wäre lieber Förster geworden. Denn er liebte den Wald und hielt Zwiesprache mit ihm auf endlosen Wanderungen. Bäume erlebte er als Gefährten, als Sorgenkinder genauso wie als stolze Freunde. Ein unbestechlicher Blick sagte ihm, wann es ihnen am Hang gut ging, wann sie was wurden - später, für den Schreiner. Und so hatte es sich ergeben, daß er mit wissendem Schweigen längst seine Bergahorne, seine Föhren oder auch den seltenen Speierling ausgemacht hatte und wußte, daß er sie eines Tages für bezahlbares Geld kaufen würde vom staatliche Forst. Beim Einschlag war er persönlich dabei, sorgte, daß seine Stämme ausgesondert wurden, überwachte das Aufsägen in der Mühle und das Trockenlagern im Schuppen auf jenem Anwesen, das einmal der ärmliche Hof seiner Eltern gewesen war.

Hier warteten sie dann, seine Schützlinge, von vielen Wintern getrocknet, auf die Hilferufe der Möbelschreiner im ganzen Rund. Denn niemand hatte für besondere Zwecke besseres Holz als dieser Hias. Spiegelahorn etwa in stehender Maserung, unverzichtbar für Schubladen, die sich auch nach vielen Jahren noch hauchend schließen, oder makellose, schlanke Esche, deren Tischplatte später nicht an den Leimstößen stufig eintrocknet.

Ob er ein bißchen stolz darauf war, der Hias? Vielleicht, irgendwo in der Tiefe. Aber nach außen hin war es halt sein schweigendes Einfordern von Ernst und von Liebe beim handwerklichen Möbelbau. Denn da höre der Spaß auf, murrte der Hias gelegentlich - und hielt sich so die andern auf Abstand.

Dienstag, 14. November 2006

Nachtrag


jedesmal, wenn ich meinen eigenen Blog ansteuere, habe ich Namens- und Passwortprobleme. Alles habe ich mir dazu ansich aufgeschrieben und tippe es brav ein, aber es funktioniert noch immer ... mit penetranter Zufälligkeit. Derweil schau ich raus und entdecke einen fahl blinkenden Stern am nächtlichen Himmel. Ob das der Server ist, auf dem sich eine halbe Welt versammelt mit ihren Texten? Und mein Blog wäre dann auch dabei? Irgendwie bin ich beeindruckt.
Oha.


Es gibt Momente, da wissen wir genau, dass wir ganz knapp an irgend etwas vorbei geschrappt sind. Je nach Sprachlandschaft, der uns leitet, sagen wir dann „oha!“ oder auch „ui“. Und wir ducken uns wenigstens hinterher, denken – wenn’s passt - wütend, man hätte uns warnen können.

Gewarnt wird heutzutage sehr viel. Es ist nachgerade die Lieblingstätigkeit unserer Politiker, Verbandshäuptlinge und Lobbyisten. Warnung, das heißt für sie: das Handeln durch düstere Deutung und wohlfeile Betroffenheit ersetzen. Täglich werden wir also gewarnt vor Dingen, bei denen nicht einmal das Ducken noch helfen könnte. Gar nicht zu reden vom Gegensteuern, um die öffentlich beschworene Gefahr zu bannen.

Stattdessen ein eitler Wettlauf der Warner, denn sie wollen alle möglichst gut in der medialen Spitzengruppe platziert sein. Der Klimawandel, die Vogelgrippe, die Vergreisung der Gesellschaft oder auch nur die Chinesen- Mafia, sie alle kommen derweil, völlig unbeeindruckt und mit ihrer ganzen Durchsetzungskraft.

Empfangen wir sie deshalb – wie man in Köln in der fünften Jahreszeit so gerne sagt - mit einem Klatschmarsch. Wir wissen ja längst, dass sie am Saaleingang stehen. Vorneweg die Warner in großen Ornat.

Und für die eine froh gestimmte „Rakete“.

Montag, 13. November 2006

Ted.


Bären sind einzelgängerische Grobiane, wälzen sich gerne in stinkendem Aas, sind nachtragend und schweigen gefährlich, wenn sie wütend sind. Nicht so die Teddybären. Die sind süß und zu Millionen mit ebenso vielen Kindern herzlich befreundet, gar nicht zu reden von den Erwachsenen, die hier Kind geblieben sind. Wie das?

Es gibt den verbürgten Fall ein ganzen Schar von Kölner Pänz, die der Reihe nach in einem städtischen Schaufenster einen Dekorations-Teddy entdeckten und ihn alle unbedingt haben wollten. Denn Teddies haben sprechende Gesichter, die nur Kinder verstehen - als ob es in sie eingebrannt wäre.

Wir werden das niemals entschlüsseln. Wohl aber wissen wir ganz genau, daß der Teddy eine Spielzeugerfindung dieses Jahrhunderts ist, ausgehend von einer Karrikatur, einer Anspielung also auf den amerikanischen Präsidenten Theodor „Ted“ Roosevelt im Jahre 1903 mit dem Titel „Teddy’s Bear“. Aus der Karrikatur wurde dann eine Schaufensterdekoration mit zwei selbstgebastelten Plüschbären und daraus ein Welterfolg. Kinderwelt heute - ohne Teddies - wäre unvorstellbar, die Tränen kämen endlos.

Bleibt die drängende Frage, ob da vielleicht noch anderes in uns schlummert, bis der Zufall es wachküßt. Denn schließlich hat ja auch die Sache mit dem Weihnachtsmann ziemlich gut geklappt, diesem netten rundlichen Herrn mit rotem Wams und Rauschebart. Ein Weltrenner inzwischen für Kinder und Geschäftsleute jeden Alters, nachweislich erfunden als Figur einer Werbekampagne von CocaCola ... . Übrigens auch Anfang dieses Jahrhunderts, als der Teddy kam.

Also warten wir - uns - doch einfach ab.
Realos.

Katzen sind Realisten, wer wüßte das nicht. Katzen, so sagt man als Mensch nicht ohne ein wenig Kränkung, brauchen uns nicht. Sie sind souveräne Einzelgänger, Selbstversorger und Alleindurchhalter, wenn es denn sein müßte. Muß aber meist nicht, denn es gibt ja, aus Katzensicht, die Menschen. Aus unverstelltem Eigeninteresse - ob uns das nun paßt oder nicht - haben sich die Katzen für uns entschieden. Huldvoll gewähren sie uns ihr Wohlwollen und holen sich wie selbstverständlich die dafür getauschten Streicheleinheiten.

Katzen sind glänzende Analytiker, beurteilen ihre Lage präzise und optimieren die Vorteile. Wer also mag sich wundern, wenn sie sich stets fürs Warme, Weiche und Leckere entscheiden? Darauf läßt sich gut schnurren. Katzen organisieren ihre Wirklichkeit immer als Gesamtkunstwerk, in dessen Mitte sie selbst - wer sonst! - Platz genommen haben.
Fazit also: Katzen lassen sich nur schwer austricksen. Ihr unbestechlicher Sinn für das Wirkliche steht dagegen. Wir, die Menschen, hängen derweil unseren Träumen nach, auch denen übrigens, die die Katzen in ihrem schnurrenden Verhältnis zu uns verklären. Doch als „wissende Menschen“ sind wir jederzeit bereit, uns von ihnen was vormachen zu lassen, Katzen umgekehrt nie.
Und wo uns das Träumen nicht mehr gelingen mag, da setzen wir uns einfach vor die Glotze oder den PC. Die Katze wird diese Gelegenheit sofort nutzen und sich auf unserem Schoß eindrehen. Dann mag kommen was will, auch Katzen zum Beispiel, die über den Bildschirm gleiten. Unsere Hausgefährten wird das völlig kalt lassen, sie werden sie nicht einmal irgnorieren. Denn in ihrer Katzenwelt gibt es diese Flimmergeschöpfe nicht. Nicht, weil sie sie nicht sähen, aber es fehlt ihnen das Reale. Nur dann nämlich hätten sie Geruch oder auch Lebensgeräusch, Katzen filtern das Echte sicher aus.
Wo also Vögel oder Hunde ihr eigenes Spiegelbild entdecken oder gar mit ihm streiten wollen, sind Katzen nicht aus der Ruhe zubringen - wozu auch? Als echte Realos haben sie das Virtuelle als plattes Täuschungsmanöver ausgemacht. Ein weiter Weg - wahrlich, der da noch vor uns Menschen liegt.
Eva.


Der Apfel hat’s in sich. Der Schweizer Freiheitskämpfer Wilhelm Tell schoß zum Beispiel auf ihn. Und dann ist da ja auch noch die Sache mit Eva, die sich nach betörender Beratung durch eine Schlange einen Apfel griff, um ihren Adam aus dem Paradies zu locken. Seltsamerweise legten sich Eva wie Adam danach Feigenblätter an. Der Apfelbaum war dafür sichtlich ungeeignet. Feigenblätter sind eben größer.

Nun wissen wir leider nicht zuverlässig, wo das Ganze - botanisch betrachtet - stattgefunden haben mag. Bildhaft, wie die biblische Reportage nun mal ist, wird sie sich ihre Vorbilder dazu vermutlich aus der damaligen Welt der Autoren, also dem südöstlichen Mittelmeerraum, gesucht haben. Folgerichtig ist im Original auch nur die Rede von Früchten, die am Baum der Erkenntnis reifen, von Äpfeln dort kein Wort, denn die dazu passenden Bäume gab es hier nicht.

Die wurden erst später dazu erfunden, in all’ den tausend Bildern, auf denen sich Eva mit dem Apfel zeigt und so eine ganze Obstgattung ins Gerede bringt. Das freilich hatte damit zu tun, daß die freundliche Rundfrucht symbolisch auch für anderes herhielt. Schon vorchristlich stand der Apfel fürs Erotische, für Verbotenes - damals.

Deshalb also greift die liebe Eva auf den rührenden Vertreibungsbildern stets zum Apfel, in den dann ihr Adam, nicht ahnend, wie sauer er sein wird, rein beißt. Bis heute.