Donnerstag, 28. Dezember 2006


Steinbruch.

Stifter sind ehrenwerte Leute. Wenn sie im Mittelalter etwa eine komplette Kirche gestiftet hatten, erinnert ein Denkmal an sie – gewiss zu Recht. Wir betrachten es mit Ehrfurcht und mit Gewinn – stets offen für alle gelehrten Deutungen. Zwar mag es damals handfeste Gründe gegeben haben, für das Heil in der Ewigkeit ein wenig vorzusorgen. Denn man hatte sehr drastische Vorstellungen davon, was armen Sündern in Fegefeuer und Hölle blühte, wenn sie nicht beizeiten noch reuig stifteten. Die Kirche kam so zu mancher Zuwendung, die Menschheit freute sich, die Kunstgeschichte notierte es dankbar und liefert im Gegenzug bis heute ungezählte Dissertationen.

Im berühmten Dom zu Naumburg an der Saale sind Skulpturen zu bewundern, die an frühe Stifter erinnern. Diese Stifter allerdings waren lange schon verstorben, ehe ein unbekannter Bildhauer sich zu ihrer Ehre ans Werk machte. Ähnlichkeiten mit den Jahrzehnte vorher lebenden Personen sind deshalb auszuschließen, es gab noch keine fotografischen Vorlagen. Und so entstand auch die Skulptur der „Uta von Naumburg“ (Uta von Ballenstedt, 1000?-1046). Dem Bildhauer war es gelungen, dieser Dame etwas in die Gesichtszüge zu legen, was Jahrhunderte später zur Ikone geriet, jetzt übrigens wegen schön inszenierter Fotos aus dem 19.Jahrhundert. Man entdeckte schließlich nach 1933 bei dieser kinderlosen Gräfin des Mittelalters alle Tugenden der guten Deutschen, des keuschen Mädchens und der Mutter des Volkes, und verschaffte ihr in der hauseigenen Propaganda einen Spitzenplatz.


Allerdings gab die gleiche Skulptur auch Deutungsgelegenheit für andere, als quasi "sozialistische Volksgenossin". So wird denn auch fertig behauener Stein wieder zum Steinbruch für den Zeitgeist. Dessen eigenes Schicksal holt ihn sozusagen ein, damals vor 800 Jahren, als Bildhauer anderen Weltsichten verpflichtet waren und ein Stifterdenkmal zu schaffen hatten, das mit den historischen Personen nur wenig zu tun haben sollte. Es konnte sogar nicht einmal in der von ihnen gestifteten Kirche aufgestellt werden. Denn diese Kirche gab es schon gar nicht mehr, war sie doch nur ein Vorläufer des Naumburger Domes, für den erst diese Skulptur in Auftrag gegeben worden war.

Wir lernen daraus, dass die Menschen so waren, wie sie heute sind: Sie bauen sich nach Tagesbedarf ihr Weltbild, nicht immer ganz freiwillig und wenn nötig auch aus Stein. Die mittelalterliche Markgräfin Uta von Ballenstedt hat es dabei in Naumburg erwischt, als alle Welt ein Foto einer Steinmetzarbeit bestaunte.

Sie konnte sich nicht wehren und sie möge in Frieden ruhen.
Bis zum nächsten Mal.

Samstag, 23. Dezember 2006

Digitalfutter.

Es ist ein sehr erfolgreiches Rezept: wer Menschen wirklich beherrschen, wer sie unterwerfen will, der muss ihnen zuerst die Persönlichkeit nehmen. Besonders bewährt hat sich dabei, diesen Menschen den Namen zu verstümmlen oder ganz zu streichen. Menschen werden danach zu austauschbaren Nummern, die sich im Machtsystem beliebig zuweisen und verarbeiten lassen. Diktaturen in der ganzen Welt tun das bis heute. Und so können wir uns freuen, dass in unserer Verfassung immerhin schon seit 1919 (Artikel 109 der Weimarer Verfassung) zu lesen ist, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. In Deutschland hat das zwar länger gedauert als anderswo, es musste erst noch ein ganzer Weltkrieg Verwüstung bringen, aber dann war es endlich soweit (von einem Zwölfjahresrückfall in braunen Terror einmal abgesehen).

Seitdem freilich hat uns dieses einzigartige Grundrecht, materiell als unser „unveränderbares Recht am eigenen Namen“, etwas schläfrig gemacht, und wir haben seinen prinzipiellen Rang aus den Augen verloren. Denn Gefahr droht lange schon aus einer ganz anderen, sich harmlos gebenden Ecke. Es sind die fern auf der Welt arbeitenden Programmierer und Systementwickler, die uns offenbar ohne schlechtes Gewissen zu Digitalfutter vermahlen wollen.

Erinnern wir uns: anfänglich waren die elektronischen Datenverarbeiter nicht in der Lage, Personennamen zu verdauen, die sich mit Umlaut schrieben oder aus mehreren Worten zusammengesetzt waren bei unterschiedlicher Groß- und Kleinschreibung. Also verstümmelten oder verfälschten sie, wie es gerade passte. Mehr als ein freundliches Achselzucken hatten die Verantwortlichen dabei nicht übrig für uns. Es seien Sachzwänge, sagten sie, und wir nahmen das hin.

Inzwischen sind die Dinge zwar weiter gekommen, Umlaute sind endlich zugelassen und bei intelligenter, loyaler Programmierung kann es sogar gelingen, dass aus einer korrekt gespeicherten Adresse auch eine korrekte Anrede im Serienbrief generiert wird - oder zumindest werden könnte. Denn nach wie vor erhalten wir massenhaft Steuerbescheide, Arztabrechnungen, Versicherungspolicen oder Spendenbettelbriefe mit ärgerlichster Verstümmelung unseres Namens. Unsere Schuld: Unser Familiennamen passt nicht ins Herrschaftsschema veralteter Software, und vor allem: wir ducken uns.

Genau das aber weicht die guten Sitten auf, macht lautlos Schule und legitimiert Folgeschlampereien zu (schlechten) Gewohnheiten. Sogar in der FAZ vom 22.12.2006 lesen wir: „Leyen: Geburt nicht künstlich verzögern“. Die hier gemeinte Person heißt mit Familiennamen „von der Leyen“, was aber schert das schon die Texter. Denen geht – aus Sachzwängen natürlich – „Kurz vor Richtig“. Erst also, wenn man simpel Köhler heißt, taucht das in einer FAZ- Schlagzeile (vom gleichen Tag) unbeschädigt auf.

Kurzum, wehren wir uns! Wir sind längst über die Anfangsmarke hinaus. Es lohnt sich. Denn erst der ganze Name macht uns zur Person. Das wussten die Verfassungsväter sehr gut, und das sind wir uns und allen anderen wirklich schuldig.

Mittwoch, 20. Dezember 2006


Zuwachs.

Weimar wächst - andere Städte in Thüringen tun das nicht. Aber es liegt nicht daran, dass die Jungen hier nicht abwandern würden wie anderswo, sondern weil die Alten kommen. Die haben das schöne, das überschaubare, traditionsreiche Weimar ins Herz geschlossen. Ungewöhnlich erfolgreich ist deshalb das Angebot an Seniorenstiften und Heimen in der Stadt. Das kleine Weimar bietet derweil ein großes und vielseitiges Freizeitprogramm mit seinen Museen, Theatern, seinen Parks und nicht zuletzt mit seinen großen Namen, die Weimar geprägt haben. Es war und ist also viel los in Weimar und mit ein wenig Geschick lässt sich der jüngeren Plattenbauvergangenheit dieser Stadt ausweichen.

Etwas außerhalb von Weimar gibt es eine Gedenkstätte, zu der ein Bus hinführt. Es gibt diesen Ort seit 1937, als das stramm nationalsozialistische Weimar hier ein KZ errichtete mit dem späteren Kunstnamen "Buchenwald". Eigentlich ist es der Ettersberg, den schon Goethe gerne besuchte und dort zu Füßen einer Eiche seinen Gedanken nachhing. Das „Lager Ettersberg“ wurde deshalb schnell auf Protest der Weimarer Bevölkerung in Buchenwald umgetauft. Buchen gibt es dort allerdings wenige.

Das Eingangstor zu diesem riesigen Lagerkomplex ist noch im Original erhalten und begrüßt seine Besucher dräuend mit „Jedem das Seine“. Gleich links dann die Folterzellen und rechts hinten auf dem heutigen Freigelände das Krematorium mit der Genickschussanlage der SS. Getarnt in einem Arztzimmer kamen die tödlichen Schüsse bei Bedarf durch einen Schieber-Schlitz - zur ärztlichen Bestimmung der Körpergröße. Jedem das Seine.

Direkt am 380-Volt-Zaun der Anlage, aber auf der Freiheitsseite, noch die Reste eines kleinen Bärengeheges für die Kinder der Aufseherfamilien. Die werden ihren Spaß gehabt haben. Einen eigenen Bahnanschluss bekam dieses KZ allerdings erst relativ spät. Der Weimarer Bahnhof selbst war indessen gut geeignet - und niemand natürlich hatte in den Jahren was bemerkt von dem Zusammentreiben Tausender auf dem Bahnsteig Richtung Buchenwald.

Das alles wird heute in der Gedenkstätte würdig erinnert. Und deshalb kann man sich vielleicht entlastet den wahren Schönheiten der alten Stadt zuwenden, etwa dem Bauhaus-Museum, das auch in Erinnerung hält, wie die Bauhaus-Kunstbewegung in Weimar schon Mitte der Zwanziger Jahre wegen „Entartung“ aus dem Ort vertrieben wurde – immerhin acht Jahre vor der Machtergreifung. Ausgeschildert ist der Weg zum „Hotel Elefant“, dem vormaligen „Haus-Elefant“, in dem sich Hitler von seinen Weimarern frenetisch bejubeln ließ.

Es ist, sagt die Fremdenführerin leise, in Weimar die ganze deutsche Geschichte wie in einer Nussschale zu fassen, hier Goethe, da Buchenwald. Die neuen Alten von Weimar haben sich damit wohl längst arrangiert. „Jedem das Seine“, denken sie vielleicht und blättern verzückt im Kulturprogramm der Stadt.